Gemeinde kauft das «Pallotti-Huus»
Schwester Consolata mit einem Säugling im «Caritasheim St. Theresia» in Niederuzwil, 1946. Über 40’000 Kinder erblickten dort das Licht der Welt
In den 1930er Jahren begann ein besonderes Kapitel in der Geschichte des Lebensraumes an der Uze. Die Schwestern des Pallottinerinnenordens begannen ihr segensreiches Wirken. Wie es dazu kam? Es waren schwierige Zeiten. Die Wirtschaftskrise drückte, die Arbeitslosigkeit war hoch. Für Bauern und Bäuerinnen, ebenso wie für Fabrikarbeitende galt: lange Arbeitstage, karges Einkommen, Freizeit eher unbekannt und meistens kinderreiche Familien. Auf den Müttern lag eine schwere Last und grosse Verantwortung.
Neues Leben in alter Fabrik
1931 kam es auf Initiative des katholischen Henauer Pfarrers Jakob Gähwiler zur Gründung des Caritasvereins Niederuzwil. Sein Ziel: Eine konfessionelle Geburtsklinik, in der katholische Frauen zu günstigen Bedingungen gebären konnten. Mutter und Kind sollten vom ersten Atemzug an auch in religiöser Hinsicht betreut werden. Im späteren Alltag der Geburtsklinik – so die Pallottinerinnen – wurden auch nicht katholische Frauen betreut. Dank des Engagements des rührigen Pfarrers, der gar für einen Teil der notwendigen Bankkredite bürgte, konnte der Verein 1932 die ehemalige Fabrikliegenschaft im Zentrum von Niederuzwil erwerben. Noch im selben Jahr starteten die Umbauarbeiten der ehemaligen Zettlerei der Naefschen Textilfabrik für das so genannte «Caritasheim St. Theresia». Der Pfarrer war auch mit seiner Suche nach geeigneter Unterstützung erfolgreich. Die Generaloberin der Pallottinerinnen, damals mit Sitz im deutschen Limburg an der Lahn, verstand und unterstützte das Vorhaben des Pfarrers aus der Schweiz. Sie macht die Zusage, bald einige gut ausgebildete deutsche Schwestern in die Schweiz zu schicken.
Harter Start
Und so waren für die Pflege und Betreuung von Beginn weg die Schwestern des Pallottinerinnenordens verantwortlich. Zwei junge deutsche Schwestern wurden im Eiltempo vorab in die Schweiz ausgesandt. Sie reisten am 30. Juni 1932 vom Mutterhaus in Limburg an der Lahn zuerst nach Gossau, am 1. Juli dann erstmals nach Niederuzwil. «Zum Glück brachten sie eine robuste Gesundheit und einen starken Glauben und viel missionarische Begeisterung mit», schreiben die Pallottinerinnen dazu. Denn: Der Umbau war nicht fertig. Es gab noch keine Unterkunft für die Schwestern, im Haus fehlten Böden, es gab keine Treppen, nur das Baugerüst.
Skepsis gegenüber den Deutschen
Zu Beginn dienten den Ordensfrauen Strohsäcke im Estrich als Nachtlager. Und auch für die Wöchnerinnen fehlte noch fast alles. Das hing damit zusammen, dass gegenüber den deutschen Schwestern eine gewisse Skepsis bestand, wohl auch geprägt von den Entwicklungen im Deutschland der Vorkriegszeit. Die Fremdenpolizei wollte ganz genau wissen, was die Schwestern in der Schweiz tun. Ein Bahnwaggon mit den ganzen Einrichtungen – Betten, Stühle, Tische, Haushalt- und Küchengeräten, Wäsche – wurde an der Grenze festgehalten. Die Schwestern konnten vorerst nur dank geliehenen und gespendeten Möbeln die Wöchnerinnenzimmer einrichten. Finanzielle Sorgen plagen sie. Sie lebten bescheiden, hielten für die Selbstversorgung Nutztiere und bestellen den Garten, gingen mit dem Pfarrer auf Betteltour bei Klöstern und potenziellen Geldgebern, meist erfolglos. Und sie waren Projektionsfläche für kircheninterne Unstimmigkeiten. Viele Kirchbürger waren der Meinung, der Pfarrer hätte klüger gehandelt, wenn er zuerst die geplante Kirche in Niederuzwil gebaut hätte. Man verstand den Zweck eines Caritasheims nicht.
Geboren in Niederuzwil
Trotz allem: Am 25. August 1932 kam es zur ersten Geburt im Caritasheim. 1962 wurde die 10’000. Geburt gefeiert. Viele weitere sollten folgen. Mehr als 40’000 Kinder wurden in der Institution geboren. Auch baulich entwickelte sich das Caritasheim. In den 1950er Jahren wurde die Geburtsklinik neu gebaut, auch die Alterspflege – ein zusätzliches Betätigungsfeld der Schwestern - konnte einen Neubau beziehen. Das Altersheim wurde in den 1990er Jahren vom Zweckverband Sonnmatt übernommen. Aus den Gebäulichkeiten der Geburtsklinik wurde später die Thurklinik. Die Schwestergemeinschaft engagierte sich auch in anderen Feldern. So bot die Geburtsklinik einen eigenen Kinderhort, damit die Wöchnerinnen ihre noch nicht schulpflichtigen Kinder während des Klinikaufenthaltes betreut wussten. Die Schwestern führten auch zwei Kindergärten und engagierten sich in der Hauskrankenpflege.
Orden zieht sich zurück
Im Laufe der Zeit nahm die Zahl der Schwestern ab, im Rahmen des allgemeinen Rückgangs der Ordensberufe. In den 1990er Jahren wurde die Gemeinschaft mit der Frage konfrontiert, wie es mit ihren Institutionen weiter gehen soll – ein schmerzlicher Moment für die Schwestern. Ab Mitte der 1990er Jahre konnten die Pallottinerinnen alle ihre Institutionen in andere Hände übergeben. Das war für sie der Moment, an ein neues Daheim zu denken. Im Areal stand ein kleineres Haus für Gärtner und Hauswart. Dieses Haus mit etwas Umschwung haben die Schwestern sanieren und erweitern lassen. Am 1. September 1997 zogen zwölf Pallottinerinnen in das «Pallotti-Huus» ein. Mit dem Auszug der letzten beiden Schwestern im Verlaufe 2024 schloss sich auch dieser Kreis.
Geschichte fortsetzen
Die Schwestern verbanden ihren Auszug mit dem Wunsch, dass die Liegenschaft im Herzen von Niederuzwil weiterhin für soziale oder kulturelle Zwecke genutzt werden soll. Sie haben sie deshalb der Gemeinde verkauft. Und so gehören nun die beiden Grundstücke Nr. 3769 und 3875 in Niederuzwil der Öffentlichkeit.
Grundstücke konkret
Die Grundstücke sind in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen gelegen, sie grenzen an das gemeindeeigene Areal des Schulhauses Kirchstrasse. Auf den Grundstücken steht das «Pallotti-Huus». Unterirdisch quert die Uze das Grundeigentum. Und auf dem Grundstück hats auch ein Stück rechtlich klassierten Wald. Entsprechend sind nach Abzug von Wald, Waldabstand, Gewässer und Gewässerabstand von den gut 8’000 Quadratmetern Bodenfläche gut 3’000 Quadratmeter nutzbar, aufgestückelt in drei unförmig, nicht zusammenhängende Teilflächen. Die bauliche Nutzung steht aufgrund dieser Einschränkungen nicht im Vordergrund. Zudem: Die Gefahrenkarte weist Hochwasser als latentes Risiko aus. All diese Rahmenbedingungen beeinflussten den Kaufpreis von 2,875 Millionen Franken.
Stellenwert
Die Liegenschaft ums «Pallotti-Huus» hat für Uzwil einen hohen Stellenwert. Unter verschiedenen Aspekten. Sie ist eng verbunden mit der Entwicklung der Gemeinde, mit der Geschichte der Pallottinerinnen, aber auch mit der Geschichte des längst verschwundenen frühen Weltkonzerns von Mathias Naef, welcher die Entwicklung des Lebensraumes an der Uze prägte und den Grundstein zur Welt legte, die wir heute kennen. Und die Liegenschaft ist Teil des wertvollen Grüngürtels zwischen Niederuzwil und Uzwil. Er soll grün bleiben, hat Potenzial als grüne, nutzbare Oase mitten im Siedlungsraum. Der Erwerb eröffnet zusätzliche Optionen. Und über den Erwerb gelangt die Gemeinde zum stattlichen «Pallotti-Huus». Es ist gut im Stand, bietet mehr Raum als es von aussen erscheint und wartet auf neues Leben. Die Gemeinde arbeitet an der neuen Nutzung des bestehenden Hauses. Soziale oder kulturelle Zwecke sind im Vordergrund.